„Weiterhin Top 10 der Welt“ – oder vielleicht auch mal mehr…?
Nach dem Rücktritt von Lena Schöneborn ist Annika Schleu die bestplatzierte Deutsche in der Weltrangliste. Die 28-Jährige sieht sich deshalb aber nicht unbedingt in einer neuen Rolle, wie sie im DVMF-Interview verrät. Kurz vor dem WM-Start in Mexico City gibt die Spandauerin Einblicke in die Vorbereitung und ihre Ziele.
Hinter dir liegen zweieinhalb Wochen im Höhentrainingslager in den Pyrenäen. Wie lief die Vorbereitung auf die WM?
Annika: Alles läuft nach Plan. Wir hatten in Font Romeu gute Bedingungen und mit dem britischen und französischen Team super Trainingspartner.Im Fechten konnten wir uns so mit starken Gegnerinnen aus den anderen Nationen messen. Für mich lag der Schwerpunkt tendenziell auf dem Laufen und Fechten, wobei wir die anderen Disziplinen, insbesondere Schwimmen und Schießen, auch intensiv trainiert haben.
Ab dem 7. September geht es in der Höhe von Mexico City um Medaillen, auf gut 2.250 Metern über dem Meeresspiegel. Wie geht man als Sportlerin solche außergewöhnlichen Bedingungen an?
Annika: Es ist das erste Mal, dass ich in solch einer Höhenlage einen Wettkampf bestreite. Selbst die Trainingszentren in Font Romeu oder in Colorado Springs (USA) sind auf einem niedrigeren Level. Das macht die Vorbereitung auf die WM zu einer großen Herausforderung. Ehrlich gesagt frage ich mich schon, warum man eine WM unter so extremen Bedingungen austrägt. Normalerweise hole ich mir über meine Trainingsleistungen Sicherheit für den Wettkampf.Jetzt muss ich ein Stück weit darauf vertrauen, dass mein Körper die Belastung in der Höhe gut verträgt. Mit dieser Ungewissheit muss ich diesmal klarkommen.
Das geht wahrscheinlich vielen Athleten nicht anders, oder?
Annika: Ja, letztendlich sind es für 95% der Athleten extreme Bedingungen. Für uns ist wichtig, dass wir uns vor Ort schnell akklimatisieren, nicht krank werden und unsere Kräfte richtig einteilen.
Bei der EM in Ungarn hat es trotz guter Ergebnisse (Platz 8 im Einzel und Platz 4 in der Staffel) nicht für eine Medaille gereicht. Wie war dein Fazit der Titelkämpfe in Ungarn?
Annika: Natürlich wäre ich gerne mit Edelmetall nach Hause gefahren. In der Staffel hätten wir es eigentlich drin gehabt. Im Einzel muss bei der Dichte in der Weltspitze alles passen, um ganz vorne zu landen. In der ganzen Saison habe ich entweder im Fechten oder im Reiten ein paar Punkte liegen gelassen oder die Konstellation im Laser-Run passte nicht so gut. Der achte Platz bei der EM war ein solides Ergebnis. Dennoch weiß ich, dass eine Einzelmedaille bei einem großen internationalen Event für mich möglich ist.
Vielleicht schon bei dieser WM? – oder was sind deine persönlichen Ziele in Mexico City?
Annika: Ich möchte eigentlich kein eindeutiges Ziel für die WM abgeben und erst recht keine WM-Einzelmedaille. Ich will meine Leistungen auf den Punkt abrufen, mit den Bedingungen vor Ort gut zurechtkommen und zeigen, wie hart ich das Jahr über trainiert habe. Unabhängig von diesen Faktoren wünsche ich mir stabile Leistungen im Fechten und Reiten, da das für mich in der Regel der Schlüssel zum Erfolg ist.
Und über die WM hinaus, welches Ziel schwebt dir da vor?
Annika: Auch in den folgenden Jahren möchte ich zu den Top 10 in der Welt gehören. Dafür werde ich weiter hart trainieren, an meinen Schwächen arbeiten und meine Stärken ausbauen. Denn das Niveau in der Weltspitze wird in Richtung Tokio 2020 noch einmal steigen. Mein großes Ziel ist natürlich die Teilnahme und ein erfolgreiches Abschneiden bei meinen dritten Olympischen Spielen. Wenn auf dem Weg dahin auch mal die ein oder andere Einzelmedaille oder gar ein Sieg rausspringen würde, wäre ich sehr glücklich!
In London und Rio de Janeiro hast du jeweils mit Lena Schöneborn das deutsche Frauen-Olympiaduo gebildet. Jetzt stehen die ersten Weltmeisterschaften nach dem Karriereende von Lena an. Fühlst du dich dadurch in einer neuen Rolle innerhalb des deutschen Teams?
Annika: Für mich persönlich hat sich nicht so viel verändert. Ich bin zwar jetzt beste Deutsche in der Weltrangliste [Anm: seit 1.9. Platz 15], sehe mich aber nicht unbedingt als neues „Zugpferd“ des deutschen Teams, wie manchmal gesagt oder geschrieben wird. Die Männer haben sich deutlich verbessert und erzielen auch regelmäßig Top-Resultate. Ich würde sagen, wir verteilen diese Rolle nun gleichmäßiger auf viele Schultern.
Fühlt sich denn ein Wettkampf jetzt aber anders an für dich, ohne Lena? Immerhin seid ihr als Staffel-Duo gemeinsam drei Mal Welt- und zwei Mal Europameisterinnen geworden.
Annika: Natürlich merke ich, dass Lena fehlt. Insbesondere, weil ich immer mit ihr zusammen unterwegs war, seit ich 2010 ins Frauenteam gekommen bin. Wir haben zusammen nicht nur an zwei Olympischen Spielen, sondern auch bei sieben Welt- und Europameisterschaften und unzähligen Weltcups teilgenommen und viele Erfolge gefeiert. Sie war die Ältere, die Bekannte, die Olympiasiegerin, an der auch ich mich orientiert habe. Aber ich denke im Wettkampf nicht darüber nach, dass ich jetzt besser sein muss, weil Lena nicht mehr da ist. Da mache ich genau so meinen Wettkampf, wie ich es bisher immer gemacht habe. Dafür wächst jetzt langsam eine neue, jüngere Generation heran, die uns als Team bereichert.
Du lebst und trainierst in Berlin. Neben dem Modernen Fünfkampf absolvierst du noch dein Studium (Biologie und Sport auf Lehramt). Wie bekommst du das alles unter einen Hut und gehst mit dieser Doppelbelastung um?
Annika: Ich werde das häufiger gefragt und antworte meistens, dass ich es von klein auf gewöhnt war. Ab der 7. Klasse ging ich auf die Sportschule, das Trainingspensum wurde nach und nach gesteigert. Irgendwann war es dann normal, den ganzen Tag unterwegs zu sein und am Abend oder den Wochenenden Hausaufgaben und alles Weitere zu erledigen. Man lernt sich gut zu organisieren und zu strukturieren. Natürlich ist es manchmal stressig, aber ich werde gut unterstützt von meinem Umfeld. Trotz dieser Doppelbelastung habe ich nie daran gezweifelt, das Richtige zu tun. Mit dem Studium baue ich mir ja auch ein zweites Standbein auf und brauche keine Angst vor der Zukunft zu haben.
Nach einer richtig anstrengenden Trainingseinheit, wie belohnst du dich selber für deine Leistung?
Annika: Vor allem mit leckerem Essen und ein paar faulen Stunden im Bett, auf dem Sofa oder im Liegestuhl in der Sonne mit Eis! Ganz wichtig ist für mich immer das befriedigende Gefühl, dass ich es mir verdient habe, einfach nur faul zu sein, weil die harte Arbeit schon hinter mir liegt. Im Winter geht das besonders gut vor dem Fernseher – am liebsten, wenn Wintersport läuft.
Und wie sieht es nach einem erfolgreichen Wettkampf aus?
Annika: Bei erfolgreichen Wettkämpfen kommt die Belohnung in Form von Adrenalin und Glücksgefühlen meistens von ganz alleine. Dieses Gefühl kann man kaum beschreiben und hat man sonst auch fast nie. Man ist einfach nur happy und müde zusammen und weiß, dass es sich gelohnt hat. Die Siegerehrung ist dann natürlich „die Kerze auf der Torte“.
Vielen Dank für das Interview und viel Erfolg bei der WM und deinen persönlichen Zielen.
Das Interview führte Resi Rathmann. Zuletzt erschienen bereits Interviews mit Alexandra Bettinelli, Matthias Sandten und Marvin Dogue.
Foto Copyright: UIPM (WM 2017)